Manuel Rösler hat im Badminton vieles gesehen und noch mehr erlebt. Seit der 43-Jährige in Simmering ist, konnte der Verein in die Bundesliga aufsteigen und seine Mitgliederzahlen vervielfachen. Und Rösler hat noch viel vor.
Es gibt dieses Märchen von Hobbys und Berufen. „Mach dein Hobby zum Beruf“, sagen sie. Und: „Das wird dich glücklich machen.“ Was einem niemand sagt, ist, dass damit das Hobby flöten geht. Einige Musiker und Musikerinnen wirken glücklich, ja fast erleichtert, fernab der Bühnen und Studios einmal nicht über Musik sprechen zu müssen. Viele Politiker und Politikerinnen unterhalten sich oft lieber über das Wetter, die Bundesliga-Ergebnisse vom Wochenende oder das beste Sushi der Stadt, als über die nächste Parlamentssitzung oder die vorletzte Steuerreform. Der Sportredakteur oder die Sportredakteurin sitzt am freien Mittwoch-Abend meistens lieber vor dem Perfekten Dinner als vor der Champions League.
Wenn man sich mit Manuel Rösler über Badminton unterhält, ist da keine Müdigkeit, keine Fadesse zu erkennen. Überhaupt wirkt der 41-Jährige so, als hätte er in seinem Leben schon öfters „Badminton“ als „der“, „die“ oder „das“ gesagt. Badminton als Röslers Hobby zu bezeichnen, wäre aber auch eine Untertreibung: „Mir wurde schnell klar, dass das das Größte, das einzig Wahre für mich ist“, erinnert sich der Deutsche heute an seine ersten Berührungspunkte. Rösler ist ein Freak, ein Fanat im besten Sinne. Jemand, der dem Sport den Großteil seines bisherigen Lebens gewidmet hat. Mit allen Höhen und Tiefen, mit aller Arbeitswut und Burnouts. Mit Enttäuschungen, Triumphen, mit Niederlagen und Wiederauferstehungen, jedenfalls, aber mit einer Leidenschaft, die man in einer Nischensportart in Österreich oft vergeblich sucht. Und vielleicht braucht es jemanden, wie den bekennenden David-Bowie-Fan, um den Sport vom Rand wegzudrücken. Rauszudrücken aus den modrigen Turnsälen Österreichs und hinzuschieben in die Wahrnehmung des Spitzensports - fernab der Olympischen Sommerspiele. Diesen Sport, den viele spielen, aber nur wenige kennen. Rösler hat Pläne und scheut dabei nicht gegen die Wände der festgefahrenen Strukturen zu laufen. Mit dem Kopf. Immer und immer wieder: „Es muss sich etwas ändern.“ Noch hält die Wand, aber sie bröckelt.
Rösler kommt wie so viele Jugendliche der 80-Jahre über den Schulsport zum Badminton. Die Leidenschaft für den Sport mit dem Schläger und dem Federball ist schnell entfacht. Und sollte sich zu einem Lauffeuer entwickeln. Teils zum Leidwesen seiner Mitschüler und Mitschülerinnen: „Immer wenn ich ein Referat halten musste, war das Thema Badminton. Alle wussten schon, was kommt“, erinnert er sich. Badminton lag zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum noch brach, war nur etwas für absolute Kenner und Exoten. Für einen Teenager mit einer Leidenschaft also ein absoluter Albtraum. Woher die Informationen nehmen? Wie kommt man ohne Internet an die Turnierergebnisse, die News von den Stars, die neuen Entwicklungen? Röslers großes Idol war damals der Däne Poul-Erik Høyer (Olympiasieger 1996), seine primäre Bezugsquelle das Badminton Magazin „BadmintonSport“, das einmal pro Monat im Briefkasten der Röslers lag. Rösler: „Das war mein Highlight. Ich habe Bilder ausgeschnitten und in mein Aufgabenheft geklebt.“ Später wurde es multimedialer, Rösler sammelte Aufnahmen auf VHS-Kassette, spricht heute von einer der größten „Badminton-VHS-Sammlungen überhaupt.“ 200-300 Kassetten mit Aufnahmen von internationalen Turnieren hortete er. Der Sport ließ ihn nicht mehr los.
Ein Donnerstag-Abend, 2022 in Wien. In der Mehrzweckhalle in Brigittenau, dem 20. Wiener Gemeindebezirk quietscht und knallt es wieder. Das Training des Badminton-Vereins WAT Simmering hat soeben begonnen, die Spieler und Spielerinnen schlagen sich ein. Am Donnerstag geht es legerer, also spielerischer zur Sache. Das Bundesliga-Training am Montag ist im Vergleich intensiver, fordernder, das Niveau ein wenig höher. Rösler begrüßt, wie es sich für einen Trainer gehört, alle persönlich, stellt einen Trainingsgast vor, teilt ein, erklärt die Übungen. Die mächtige Halle ist durch schwere, graue Vorhänge geteilt, nebenan wird Volleyball gespielt, an manchen Donnerstagen krachen zu Trainingszeiten immer wieder Basketbälle auf den Parkettboden. Wenn man es nicht gewohnt ist, versteht man das eigene Wort nicht immer. Österreich ist im Gegensatz zur Badminton-Großmacht Dänemark nicht mit Hallen gesegnet, Mehrzweck heißt das Zauberwort hierzulande, eigene Badmintonspielstätten sind eine Rarität. In Wien gibt es keine. Für Rösler eine Katastrophe: „Wir brauchen eine eigene Halle. Nur so kann man anständig trainieren.“ Martin Kober dürfte das auch so sehen, muss als Sparten-Obmann des Vereins seinen Trainer und dessen Ambitionen aber immer wieder bremsen. „Es ist, wie so oft eine Geldfrage“, sagt Kober, der auch an diesem Trainingsabend ein wenig abseits in der Halle steht. Mit Rösler sei dem Verein „jedenfalls ein Glücksgriff gelungen“. Während Kober von den Anfängen, vom Aufstieg in die 2. Bundesliga und ehemaligen Trainern und Trainerinnen erzählt, schlendert Trainer Rösler an der Wand hinter den Courts hin und her, gibt Anweisungen, Tipps zu Technik und Spielsituationen. Er sei kein „Schleifer - aber schon fordernd“, sagt er über sich selbst. Zwei jüngeren Spieler serviert er anschließend unzählige Bälle über das Netz. So, wie er es auch damals in der Schweiz gemacht hat, bei seinem ersten Engagement als Trainer.
Röslers Weg führte ihn früh und schnell in den Sport, mit all seinen Facetten, mit all seinen Niederungen und auch auf die große Bühne. Nach dem Grundwehrdienst in Deutschland wurde er in der Schweiz erstmals als Trainer engagiert, kümmerte sich in der Nähe von Zermatt um Nachwuchstalente. Der junge Trainer fand aber auch heraus, dass man nicht den ganzen Tag in der Badmintonhalle stehen kann: „Mir war oft einfach stinklangweilig.“ Rösler wurde in der Schweiz nicht glücklich. Über einen Bekannten zog es ihn erstmals nach Österreich, er übernahm eine administrative Stelle im österreichischen Badminton-Verband, trainierte darüber hinaus Jugendliche. Zunächst in Oberösterreich später dann in Wien am Bundesnachwuchsleistungszentrum.
Einer dieser Jugendlichen war Vilson Vattanirappel. Der 29-Jährige erinnert sich: „Manuel hat mich damals trainiert. Man hat sofort gemerkt, dass er eine Weitsicht mitbringt. Und dass er sich einfach wahnsinnig gut auskennt.“ Heute steht Vattanirappel im Aufgebot von WAT Simmering, die Wiener spielen in der Bundesliga, Cheftrainer ist Rösler. Der Deutsche sei im Training „fordernd, aber auch sehr individuell. Er geht auf dich als Spieler und als Mensch ein. Das ist nicht selbstverständlich“, sagt Vattanirappel. Rösler sei außerdem penibel, verliere sich manchmal in unendlichen Wiederholungen. „Als Spieler versteht man aber erst später, dass das alles seinen Sinn hat“, sagt Vattanirappel. Der Erfolg stellte sich bald ein, in der Spielzeit 2019/20 stieg Simmering in die 2. Bundesliga auf. Bei einem Spieler oder einer Spielerin ist Rösler das technische Grundgerüst wichtig: „Man kann das später nurmehr schwierig aufholen. Eigentlich ist es unmöglich“, sagt er an jenem Donnerstag, während er in weißen Shorts, einem weißen Shirt und schwarzen Schuhen immer wieder zwischen den Courts in der Halle wechselt und Kommandos und Anweisungen an seine Spieler und Spielerinnen gibt. Bei Pascal Cheng stimmt die Technik jedenfalls, der junge Wiener gilt als Ausnahmetalent in Österreichs Badminton. Rösler hält große Stücke auf seinen Schützling, der bei den Europäischen Olympischen Jugendspielen 2022 die Bronzemedaille im Einzel holte.
„Er ist einfach unheimlich gut vernetzt“, sagt Obmann Kober über seinen Cheftrainer. Denn Rösler ist in Simmering mehr als nur Trainer, er bringt Visionen und Ambitionen in den Wiener Verein. Sein Weg durch die Badminton-Welt kreuzte sich mit den ganz Großen des Sports. Anfang der 2000er-Jahre übernahm er Marketing und Kommunikationsagenden des Superstars Peter Gade. Rösler betreute die Homepage, entwickelte Gades Logo und Markenauftritt; war selbst für Autogrammkarten zuständig: „Ein junges Mädchen aus Norwegen war unheimlich in Gade verliebt und hat täglich 15 Mal angerufen. Ich musste meine Telefonnummer von der Homepage nehmen“, erinnert er sich lächelnd. Gemeinsam mit dem Franzosen Raphael Sachetat, der später der wichtigste Fotograf im Badminton-Sport werden sollte, gründete er ein Badminton-Magazin, Gade begleitete er auf eine längere Asientour: „Er ist dort ein absoluter Superstar, der Rummel war unvergleichlich.“
2010 verlässt er Österreich, zieht nach Kopenhagen und heuert beim europäischen Badminton-Verband als Communications Manager an. Nebenbei ist er auch bei der Ausstattungsfirma YONEX beschäftigt. Rösler arbeitet sich ein und ab, entwickelt, wie er selbst sagt, ein Burnout. Fünf Jahre später ist es zu viel. Dazu kam eine Flugangst, die die internationalen Anforderungen des Jobs nicht mehr ermöglichten: „Ich hatte Schweißausbrüche, noch bevor ich in ein Flugzeug stieg, konnte nicht mehr schlafen. Es war schlimm“, sagt er heute. Rösler entschied sich nach Österreich, also nach Wien zurückzukehren, wo ihn anfangs „niemand wollte.“ Bis es zum Engagement bei Simmering kam. Rösler ist in Simmering nicht nur für den Sport zuständig. Er plant, macht sich Gedanken, hat Visionen für den Verein - und den Badminton-Sport als großes Ganzes. Bundesliga-Heimspiele sollen herzeigbar und vermarktbar werden, die Partien kürzer und TV-tauglicher. Tickets? Muss man nicht verschenken. Der Deutsche will Badminton populärer machen, das öffentliche Ansehen an das Spektakel anpassen, das dieser rasante Sport zu bieten hat: „Badminton hat viel mehr zu bieten, als der Status Quo“, sagt er.
Seit Rösler bei Simmering beschäftigt ist, haben sich die Mitgliederzahlen des Wiener Vereins vervielfacht, Rösler setzt auf Marketing-Offensiven und Sichtbarkeit, orientiert sich mit seiner Erfahrung an Dänemark. Badminton ist dort Popkultur. Der Realismus bleibt dabei nicht auf der Strecke; „Mir ist klar, dass Badminton in Österreich vielleicht nie den Stellenwert, wie in Dänemark haben wird. Aber es ist hier viel Luft nach oben.“ Er stellt Fragen, die auch unangenehm sein können: „Vielleicht sollte man sich bei der Vermarktung und mehr an Tennis orientieren. Man muss die Strukturen im Badminton aufbrechen und größer denken.“ Das wird nicht immer gern gesehen, zu gemütlich und einfach ist es in der Suppe, die man seit Jahren im Badminton-Sport kocht. Innovationen? Bitte nicht. Veränderungen? Ohgott, nein. Bestehendes überdenken? Auf gar keinen Fall. Rösler will Badminton aus den Turnsälen, in die großen Hallen bringen, will den Sport in jene Öffentlichkeit tragen, die er sich verdient. Scheitern ist dabei ein Teil der Strategie: „Wenn man es nicht probiert hat, wird man nie wissen, ob es nicht möglich wäre.“ Get rich, or die tryin’.
Portrait von Andreas Hagenauer (Der Standard)
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